Die Öde Stubn

An einer vom Wind geschützten Stelle mitten im Wald in der Nähe eines heilkräftigen Waldbrunnens lebte in einer Hütte aus roh zubehauenen Baumstämmen eine alte Köhlerswitwe mit dem Namen Gertrude. Wurzeln und Beeren bildeten ihre Nahrung. Oft vergoss sie Tränen über den Verlust ihres Ehegatten und haderte mit ihrem traurigen Los. Aber je mehr sie grübelte und nachdachte, desto mehr verbitterte sich ihr Gemüt, bis sie zuletzt, alles verfluchend, was ihr bisher heilig war, mit dem Teufel einen Bund schloss.

So war aus dem ehrsamen Weibe eine alte Hexe geworden, die von allen Leuten gemieden wurde. Nur wenn einer recht siech und krank war, eine wirksame Arznei verlangte, oder wenn ein verliebter Bursche oder ein solches Dirnlein ein Liebestränkchen brauchten, dann erhielt sie Besuch. Hatten die Hilfe und Rat suchenden ihre Tränklein oder heilsamen Pflaster erhalten, so statteten sie ihren Dank der Alten in Form von mitgebrachten Feldfrüchten, Eiern, Butter, Mehl und dergleichen ab, denn die Hexe scheute das Geld, seitdem ihr Mann darum Leib und Seele verloren hatte.

Aber zu Walpurgis, Johanni oder zur Weihnachtszeit durfte man sie nicht aufsuchen, denn zu diesen Zeiten hielten die Hexen in den Nächten ihre Zusammenkünfte mit dem Teufel ab, und wem daher seine Haut lieb war, der vermied es überhaupt, zu solchen Zeiten den Bannkreis des Kollmitzberges zu betreten.

Ein aus der Fremde kommender Handwerksbursche aber, der davon nichts wusste, verirrte sich einmal spät abends – es war gerade um Johanni – in diesem Walde. Ein Gewitter stand dräuend am Himmel und der Wanderer suchte nach einem schützenden Obdach. Nur mühsam fand er sich in dem finsteren Walde zurecht, denn mittlerweile hatte sich ein fürchterlicher Sturm erhoben. Da erblickte er bei dem fahlen Schein eines Blitzstrahles eine Hütte vor sich. Er ging auf dieselbe zu, doch vergebens war sein Klopfen; die Tür blieb verschlossen. Plötzlich fühlte er sich von einer unsichtbaren Hand ergriffen und unsanft in den benachbarten Graben geschleudert. Zum Glück fiel er auf eine dicke Moosschicht, so dass er unverletzt blieb. Als er sich wieder erheben wollte, bemerkte er mit Angst und Entsetzen,  wie sich das Dach der ober ihm befindlichen Hütte öffnete. In dem hellen Lichtscheine, der sich aus derselben nun verbreitete, sah er nun, wie ein feuriger Mann mit einem Weibe unter dem Arm herausflog. Im selben Augenblicke erscholl aber Lärm und Kettengerassel. Alsbald erschien ein zweiter, aber ganz schwarzer Mann in dem Lichtscheine ober der Hütte, der eine feurige Kette mit einer glühenden Kugel um den Leib geschlungen hatte und sich auf den feurigen Mann stürzte. Es begann nun in der Luft ein fürchterlicher Kampf, der erst endete, als die Frauengestalt unter lautem Wehklagen von oben herab wieder in die Hütte zurückfiel.

Mit dem dumpfen Falle ihres Körpers verschwand auch der Spuk in der Luft und tiefe Finsternis umgab wieder den aufs Äußerste erschrockenen Handwerksburschen; der Sturm heulte jedoch unvermindert weiter. Den Wanderer litt es nicht mehr länger an dem unheimlichen Ort. Auf allen Vieren kroch er in dem Graben abwärts, bis er erschöpft liegenblieb und in einen tiefen Schlaf verfiel. Als er wieder wach wurde, schien ihm bereits die Sonne heiß ins Gesicht; er machte sich sofort auf und eilte aus dem Schreckenswalde, bis er endlich auf zwei im Felde arbeitende Landleute stieß, denen er seine Erlebnisse der vergangenen Nacht erzählte, worüber diese sehr erschraken und der Meinung waren, es sei der Leonhard gewesen, der mit dem Teufel um sein Weib stritt; die goldene Kette, die der Schwarze um den Leib gehabt, sei aus dem Golde geschmiedet gewesen, mit dem der Teufel dem armen Kohlenbrenner seinen Spielgewinn auszahlte.

Als nach einiger Zeit Leute die Stubenhexe aufsuchen wollten, fanden sie die Hütte ohne Dach und die Türe verschlossen. Als man die Hütte aufschloss, flüchteten sich Hunderte von Mäusen, die an der Leiche der Hexe, die unter dem Herdloche lag, genagt hatten, so dass fast nichts mehr als die bloßen Knochen übrig geblieben waren.

Seit der Zeit blieb der Wald, der nach der Hexenwohnung den Namen „öde Stuben“ erhielt, unbewohnt.